Inhaltsverzeichnis
Geografischer und historischer Kontext
In einem Nebentälchen zum Val Terbi , 12 km südöstlich von Delémont, liegt die kleine Ortschaft Vermes. Eingebettet in eine hügelige Landschaft unterhalb des Plain Fayen steht die Kirche St-Pierre-et-Paul in unmittelbarer Nähe zur Schule, zu den wenigen Höfen und Wohnhäusern, welche sich an beiden Seiten des Baches Gabaire befinden. Neben der Kirche erhebt sich ein kleiner Rebberg. Es herrscht ein mildes Klima. Schriftliche Quellen belegen, dass dieses Gebiet bereits im 7. Jahrhundert christlich genutzt wurde. Die Abtei Moutier-Grandval besass hier eine cella, welche dem heiligen Paul geweiht war und zwischen 884 und 968 aufgegeben wurde. Über diese cella und über die frühmittelalterliche Kirche ist ansonsten wenig bekannt. Die Gemeinde Vermes gehörte im Mittelalter zur Herrschaft Delsberg und war Teil des Fürstbistums Basel.
Architektur
Die Kirche St-Pierre-et-Paul besteht aus einem Glockenturm, dem Hauptschiff, einem Chor und einer angebauten Sakristei. Die einzelnen, aneinandergereihten Gebäudeteile sind von aussen durch die gestaffelten Firsthöhen deutlich erkennbar. Beim Betreten der Kirche blickt man durch das Kirchenschiff auf den Triumphbogen, der sich bis unter die Holzdecke der 1960er Jahre erstreckt. Im Zentrum des leicht erhöhten Chors steht ein monolithischer Altar aus Jura-Kalkstein, der 1969 geweiht wurde. Der Grundstein für den Neubau dieser Kirche wurde am 12. Mai 1723 von Pfarrer Fleury gesegnet. 1732 wurde die neue Pfarrkirche geweiht. 1744 wurde ein Glockenturm mit Zwiebeldach beim westlichen Eingang des Gebäudes errichtet. Zwischen 1783 und 1786 wurde die Kirche gegen Osten hin vergrössert. Danach gab es keine grösseren baulichen Veränderungen mehr. 1962 wurden dringende Restaurierungsarbeiten angegangen. Bei der Entfernung des Putzes kamen Fensternischen und Fragmente eines umfangreichen Bilderzyklus zum Vorschein, die belegen, dass die Kirche des 18. Jahrhunderts auf älteren Grundmauern errichtet wurde. Auch am Triumphbogen und im Chor wurden Überreste von Wandmalereien entdeckt. Bis im Sommer 1964 wurden die Restaurierungen im Kirchenschiff abgeschlossen. 1967 wurde die Kirche unter nationalen Schutz gestellt.
Wandmalereien Südwand
Die heute sichtbaren Wandmalereien befinden sich an der Süd- und Nordwand sowie am Triumphbogen. An der Südwand sind Szenen aus der Kindheit Christi und die Entschlafung Mariens dargestellt. Im linken oberen Feld ist die Darbringung im Tempel zu sehen. Das Kind steht und scheint den drei Magiern entgegenzustreben. Maria ist mit Krone dargestellt und ihre Beine sind mit einem purpurnen Textil bekleidet. Zwischen dem zweiten und dem dritten Fenster an der Südwand ist im oberen, breit angelegten Feld die Darbringung im Tempel zu sehen. Im linken, unteren Bildfeld ist wahrscheinlich eine Szene aus apokryphen Texten zur Kindheit Christi dargestellt, vermutlich die Szene «Jesus und der Wasserkrug», welche im Thomasevangelium des Apostels Thomas oder im Pseudo-Matthäus-Evangelium geschildert wird. In dieser Erzählung will Jesus für Maria am Fluss Wasser holen. Als ihm der Krug zerbricht, überreicht er Maria das Wasser in einem Tuch. Josef kommt in diesen Erzählungen allerdings nicht vor. In Vermes hingegen steht Josef im linken Bildfeld und begleitet das Ereignis mit erhobener Hand. Jesus steht als kleines Kind vor Maria und streckt ihr seine Hände entgegen. Zwischen Maria und Jesus ist eine blaue Fläche erkennbar, welche in den Händen Marias eine Art Gefäss bildet. Dieses Tuch oder das Wasser stellen eine körperliche Interaktion zwischen Maria und Jesus her. Unten rechts ist in einem breit angelegten Bildfeld die Entschlafung Mariens zu sehen. Eine grössere Menschenmenge ist erkennbar. Die einzelnen Personen drücken ihre Trauer in verschiedensten Körperhaltungen aus. Auf der Szene Darbringung im Tempel, der Szene aus der Kindheit und der Entschlafung Christi wird die Rahmung aus grün-roten Wellenlinien immer wieder subtil aufgebrochen, etwa durch den Mantel Mariens oder die Hand einer trauernden heiligen Figur, die sich nach links aussen wendet und in der rechten Hand eine schlüsselartige Form hält.
Wandmalereien Nordwand
An der Nordwand des Kirchenschiffes wird die Passion Christi thematisiert. Die Szenen der Passionsgeschichte werden chronologisch von oben links nach unten rechts erzählt. Auch an dieser Wand sind die einzelnen Szenen in zwei Registern angelegt. Die einzelnen Felder sind alle gleich hoch, jedoch verschieden breit, dadurch entsteht der Eindruck eines Mauerwerks. Oben sind die vier Einzelbilder mit folgenden Szenen zu sehen: Abendmahl, Fusswaschung, Szene am Ölberg und die Gefangennahme. Auf allen Szenen trägt Christus ein blaues Gewand, langes helles Haar und einen langen hellen Bart.
Wandmalereien am Triumphbogen
Die Kontinuität der Erzählung wird durch die Überlappung einer Bildszene von der Nordwand auf die Wand des Triumphbogens betont. Folgende Szenen sind zu erkennen: Oben links sind zwei Personen ohne Heiligenschein zu sehen, beide tragen gelbe Hüte. Die Person, welche sich auf der Nordwand befindet, scheint zu reiten. Die Person rechts ist deutlich kleiner, wendet sich nach links und stützt sich auf eine nicht mehr erkennbare Form. Oben rechts ist die Beweinung Christi zu erkennen. Engel und verschiedene Heilige umrahmen Maria. Sie ist deutlich grösser dargestellt als alle anderen Figuren im Bild. Damit wird die Zweisamkeit zwischen Maria und dem verstorbenen Christus betont. Auf ihrem Schoss liegt der erwachsene Jesus, der nun ebenfalls vom roten Tuch bedeckt ist. Dieses Bild ist eine Verbindung zweier Szenen und kommt ab dem 15. Jahrhundert eher in einer nordischen Tradition vor. Diese Verbindung verweist auf eine Ikonografie aus dem Burgund oder dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Ein bekanntes Beispiel dafür ist ein um 1450 entstandener Wandteppich, der sich in Straßburg befindet. Das Bild wurde ursprünglich als Andachtsbild verwendet. In Vermes wurde das Motiv mit unzähligen Figuren ausgestattet und in den narrativen Zyklus eingebunden.
Von der Szene unten an der Nordwand sind nur noch zwei Figuren erkennbar. Eine Person mit langem, blondem Haar und Heiligenschein sowie ein ergrauter Mann in roter Kleidung, der in einer resignierten Haltung und ohne Heiligenschein in der äussersten Ecke platziert wurde. An der Chorwand im unteren Bildfeld sieht man Christus mit Heiligenschein, flankiert von Engeln. Er trägt ein Tuch um den nackten Körper, man sieht auch das Wundmal an seiner linken Brustseite. Es ist der triumphierende Christus, der aus dem Sarkophag steigt und noch einmal seinen verwundeten, weltlichen Körper zeigt. In seinem Nimbus ist deutlich das Kreuz erkennbar. Ein Kreuz hält er ausserdem in seiner linken Hand. Der Engel, der Nimbus und das Kreuz ragen deutlich aus dem Bildfeld heraus. Abwesend (oder nicht erhalten geblieben) sind die schlafenden Soldaten, welche traditionell zu dieser Szene gehören. Das Bild ist ein Symbol der christlichen Auferstehung und verkörpert den Sieg über den Tod und die Sünde. Diese Ikonografie wurde im 13. Jahrhundert eingeführt.
Autor*in der ersten Version: Angela Kuratli, 15/07/2025
Archivbestände
- Bundesarchiv Bern: E3010B-01#2022/225#1134*, Signatur: 355-JU-0991/00, Vermes: Eglise, 1964–2003.
- Burgerbibliothek Bern: Dossier N Hermann von Fischer 293, 294, 295, 296, FI Fischer 513, FI Fischer 845.
- Office de la Culture, Porrentruy: Fotografische Dokumentationen.
Bibliografie
Literatur
- Urban Fink-Wagner: Die gefährdete Kirche von Vermes (JU); in: IM Info. Die Informationszeitschrift der Inländischen Mission (2), (03.2018) S. 4–5
- Thomas Henrici: Le journal «raisonné» d’un vicaire général du diocèse de Bâle dans la première moitié du XVIIe siècle, hg. v. Jean-Pierre Renard, übers. v. Patrick Braun, Fribourg (2007); S. 201.
- Louis Vautrey: Le Jura bernois: notices historiques sur les villes et les villages du Jura bernois, Fribourg, Imprimerie catholique suisse (1880); S. 650–657.
- Gerhard Schneider, Evangelia infantiae apocrypha – Apocryphe Kindheitsevangelien. Freiburg i.Br: Herder (1995); S. 158-161, S. 250f.
Onlinequellen
- Vermes; in: Chronologie jurassienne Website (Zugriff am: 25.04.2025)
Bildnachweis
- St-Pierre-et-Paul, Vermes: Nordwand und Chor
Zitiervorschlag
Angela Kuratli, «St-Pierre-et-Paul, Vermes», Lexikon des Jura / Dictionnaire du Jura (DIJU), https://www.diju.ch/d/notices/detail/1004035-st-pierre-et-paul-vermes, Stand: 25/07/2025.