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Eidgenössische Kommission der guten Dienste für den Jura

Die eidgenössische Kommission der guten Dienste für den Jura (Commission confédérée de bons offices pour le Jura CBO) wurde auf Vorschlag des Bundesrates am 16. Juli 1968 durch die Berner Regierung ernannt. Ihre Aufgabe bestand darin, die zweite Phase des vom Berner Regierungsrat vorgeschlagenen Vorgehensplans vom März 1967 umzusetzen. Dieser Plan wurde von Ernest Jaberg und André Ory entworfen und sah ein Vorgehen in zwei Stufen vor: 1. eine Vorbereitungsphase (Situationsanalyse) und 2. eine Entscheidungsphase (Entwurf eines Massnahmenplans für den Kanton).

Die E. setzte sich aus den zwei Altbundesräten Max Petitpierre, FDP Neuenburg, Kommissionspräsident (nach ihm wurde die Kommission manchmal Commission Petitpierre genannt) und Fritz Wahlen, Agrarwissenschaftler aus Bern, sowie aus den zwei Nationalräten Pierre Graber, SP Waadtland, und Raymond Broger, CVP Appenzell, zusammen. Alle vier Bundesratsparteien waren also darin vertreten, weshalb die E. auch „Kommission der vier Weisen“ genannt wurde.

Die Diskussion zwischen der E. und dem Berner Regierungsrat drehte sich darum, ob und wie eine Volksabstimmung organisiert oder ob ein neues Sonderstatut für den Jura (Jurastatut) entworfen werden sollte. Für die E. waren zwei Dinge wichtig: Erstens sollte die Wahl zwischen einer Trennung und einem neuen Sonderstatut den Jurassiern überlassen werden, wobei das Statut vor der Volksabstimmung ausgearbeitet werden musste. Zweitens sollte aufgrund der Existenz der drei unterschiedlichen Einflussgebiete im Jura (Norden, Süden und Laufental) den Jurassiern nach der Abstimmung über eine Trennung die Möglichkeit eines erneuten Urnengangs geboten werden, und zwar innerhalb jener Amtsbezirke, in denen die Mehrheit mit dem Gesamtresultat der ersten Abstimmung nicht einig ging. Hiermit entstand die Idee der Volksabstimmungen in Serien, die schlussendlich zur Trennung zwischen dem Nord- und Südgebiet des Juras führen sollte.
Nach der Veröffentlichung des ersten Berichts der E. vom 13. Mai 1969, präsentierte der Berner Regierungsrat im Juli 1969 sein Vorhaben betreffend Zusatzartikel in der Verfassung. Entgegen den Forderungen der E. sah er „aus terminlichen Gründen“ eine Volksabstimmung vor, bevor das neue Jurastatut definitiv akzeptiert war. Ab diesem Zeitpunkt bestand das Risiko einer Teilung des Juragebiets, was in der Gründung des Mouvement pour l’Unité du Jura MUJ – auch „Dritte Kraft“ (Troisième Force) genannt – am 18. August 1969 mündete. Ende 1969 stimmte der Grosse Rat des Kantons Bern einstimmig den Verfassungsänderungen zu, welche die Organisation der Volksabstimmungen erlaubten, und legte das Datum für den Urnengang auf den 1. März 1970 fest. Somit wurde die Erarbeitung eines Jurastatuts zum ersten Kampfziel der MUJ, da ihm ja vom Kanton Bern keine Priorität eingeräumt wurde.
Mehr als ein Jahr nach der Abstimmung am 1. März 1970 veröffentlichte die E. am 7. September 1971 ihren zweiten Bericht. Dieser enthielt im Wesentlichen die Vorschläge des Berner Regierungsrates zum Projekt des Jurastatuts. Die E. berichtete in neuer Zusammensetzung: Pierre Graber, unterdessen in den Bundesrat gewählt, wurde durch André Sandoz, Nationalrat aus La Chaux-de-Fonds, ersetzt. Ausserdem wurde als fünftes Mitglied der Bündner Reto Bezzola, Professor an der Universität Zürich, in die E. berufen. Der zweite Bericht näherte sich der Position des Kantons an, insbesondere indem er nicht auf den Umstand hinwies, dass die Juraplebiszite vor der Fertigstellung des Jurastatuts stattfinden könnten – was dann auch wirklich so geschah. Im September 1972 präsentierte die Regierung den Vortrag des Regierungsrates an den Grossen Rat über die Bildung von Regionen und die Ausgestaltung des Jurastatuts, verfasst von André Ory. Das Papier enthielt den Vorschlag einer regionalen Unterteilung des gesamten Berner Kantonsgebietes. Das Rassemblement jurassien RJ und das MUJ sprachen sich gegen dieses Vorhaben aus, währen die Union des Patriotes jurassiens UPJ dafür war. Im November wurde das Vorhaben im Grossen Rat des Kantons Bern diskutiert, jedoch ohne die separatistischen Ratsmitglieder, welche die Teilnahme an der Debatte verweigerten. Bereits im Dezember wurde das Datum für das erste Plebiszit auf den Juni 1974 festgelegt. Dem jurassischen Stimmvolk wurde dadurch gar nie die Gelegenheit gegeben, über das im zweiten Bericht vorgestellte Projekt eines neuen Jurastatus abzustimmen.

Publikationen:

- Erster Bericht der Kommission der guten Dienste für den Jura vom 13. Mai 1969
- Zweiter Bericht der Kommission der guten Dienste für den Jura vom 7. September 1971


Autor*in der ersten Version: Emma Chatelain, 15/06/2010

Übersetzung: Kiki Lutz, 11/11/2013

Bibliografie

Gilbert Ganguillet, Le conflit jurassien : genèse et trajectoire d'un conflit ethno-régional, Zurich, 1998
Alain Pichard, La Question jurassienne, Lausanne, 2004, S. 69-70
Claude Hauser, L’Aventure du Jura, Lausanne, 2004
Emma Chatelain, « Nous sommes des hommes libres sur une terre libre ». Le mouvement antiséparatiste jurassien (1947-1975), son idéologie et ses relations avec Berne, Neuchâtel, 2007, S. 80-90
'Rapport du Conseil-exécutif au Grand Conseil concernant l’inscription dans la Constitution cantonale de nouvelles dispositions relatives au Jura, 1969'

Message du grand Conseil au canton de Berne concernant les nouvelles dispositions constitutionnelles relatives au Jura, 1969

Zitiervorschlag

Emma Chatelain, «Eidgenössische Kommission der guten Dienste für den Jura», Lexikon des Jura / Dictionnaire du Jura (DIJU), https://diju.ch/d/notices/detail/6134-eidgenossische-kommission-der-guten-dienste-fur-den-jura, Stand: 20/04/2024.

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